Reisen Und Reisen Lassen

13.02.2019

Die meisten unserer BesucherInnen sind aus Indien. Doch immer wieder haben wir auch Menschen aus anderen Ländern- dann meistens Europa oder Nordamerika- zu Besuch.

Während indische Touristen in der Regel nur für einige Tage oder Wochen in Urlaub sind. Eine Pause von ihrem Alltag und der Großstadt machen, sind andere aus "westlichen" Staaten oftmals Monate sogar mehre Jahre unterwegs. Meistens gut gebildet und mit nicht zu knappen finanziellen Mitteln ausgestattet. Und so häufig Ich in den letzten Monaten gehört habe: "Ich habe meinen Job aufgegeben und bin seid dem auf Reisen" (So oder so ähnlich), habe ich langsam das Gefühl, es ist das normalste der Welt im Leben an einen Punkt zu kommen, an dem man alles hasst, was man bis dahin im Leben so gemacht hat. Oder wovor fliehen all diese Leute? Gut, dass ich das weiß, bevor ich überhaupt begonnen habe zu arbeiten.

Einmal waren da zwei Radreisende. Seid sieben Monaten in Asien unterwegs und für zwei Tage bei uns gestrandet. Natürlich haben sie interessante Geschichten zu erzählen. Schließlich erlebt man einiges und wird stark geprägt auf solchen Reisen. Schon vorher haben sie Reisen durch Europa und Amerika unternommen- mehrere Jahre.

Ein Abend später; die Radwanderer waren weitergezogen. Wir sitzen beim Abendessen am Tisch und reden über Dies und Jenes und auch über unsere zwei Besucher. Was sie für interessante nette Menschen gewesen waren. Da kommt plötzlich die Frage auf, die eine Kluft zwischen unseren indischen Gästen und denen aus Ländern des Globalen Nordens schlägt: Woher nehmen die eigentlich das Geld für so lange Zeit nicht arbeiten zu müssen?

Ich sitze am Rande des Gesprächs und lausche, wie sich die Leute (alle anderen sind Interinnen) darüber austauschen, dass Menschen in einem europäischen Land nur für einen oder zwei Monate arbeiten müssen - in einem nicht einmal besonders gut bezahlten Job - und damit drei vier Monate in einem Land wie Indien gut leben können. Ich würde mich gerne unsichtbar machen, aber alles was ich machen kann - und das ist wohl auch die bessere Möglichkeit - ist zuzustimmen, wenn jemand erzählt: "Einmal habe ich eine Frau kennengelernt, die geplant hatte für ein Jahr zu verreisen. Jetzt sind es schon drei. Sie sagte, das Geld sei einfach noch da. Das könnte ich niemals sagen! Das ist so unfair!"

Mir ist jetzt richtig schlecht und ich habe einen kleinen Klos im Hals. Dass das alles unfair ist, wusste ich natürlich vorher schon irgendwo. Aber halt sehr theoretisch. Das war meine erste Begegnung damit, wie Menschen aus einem Land des globalen Südens über dieses Thema fühlen und denken. Das ist auf der einen Seite vielleicht eine Mischung aus Bewunderung und Neid. Aber es ist vor allem auch sehr explizierte Wut, die sagt: Die Verhältnisse sind nicht gerecht!

Dieselbe Person hat dann noch was gesagt:

Die meisten Menschen hätten eine bestimmte Vorstellung von Indien. Yoga, Meditation, Henna. Und Ihre Position als Weiße würde es ihnen auch möglich machen, genau dieses Indien zu erleben, das sie erleben wollen. Es gäbe da aber auch noch ein anderes Indien, das für Indischen Menschen zwangsweise (auch) immer präsent ist. Dieses Indien hätte auch mit Unterdrückung zu tun und mit Lebensverhältnissen, aus den man sich nicht einfach befreien kann, wenn das Geld dafür nicht vorhanden ist. Dieses Indien sei für sie auch immer das echte Indien, aber für Reisende aus Ländern des globalen Nordens müsse bzw. könne es das nie sein.

Das Einkommen in einem europäischen Land ist im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten in den meisten Ländern des Globalen Südens so hoch, dass man sich mit vergleichsweise wenig Geld einen Lebensstandard leisten kann, für den andere Leute hart arbeiten müssen. Unser europäischer Reisepass ermöglicht es uns ohne Probleme in nahezu jedes Land dieser Erde zu reisen. Wenn wir entscheiden in einem anderen Land leben zu wollen wird uns niemand fragen, ob wir denn auch einen guten Grund haben woanders leben zu wollen als in dem, in dem wir geboren sind. Niemand wird uns vorwerfen, nur von ökonomischen und/oder gesellschaftlichen Verhältnissen profitieren zu wollen.

Trotzdem gelten (langzeit)Reisende, besonders wenn es sie nach Asien oder Südamerika verschlägt, als sehr mutige weltoffene Menschen, die mit absoluter Selbstlosigkeit, die Welt verbessern würden.

Dabei spielt es für diese Menschen natürlich gar keine Rolle woher sie stammen oder aus welchem Land irgendjemand anderes stammt oder aufwächst. Und natürlich beurteilen sie alle Menschen ausschließlich nach ihrem Charakter und niemals nach Herkunft oder Geschlecht etc. Ja sie sind sogar so selbstlos und ehrenvoll in Länder des globalen Südens zu reisen, um den Menschen in ihrem Verhalten ein Vorbild zu sein und sie an unserem moralischen Fortschritt teil haben zu können.

Die meisten Weltreisenden möchten gerne mit ihrem Auftreten und Lebensstil ein Ideal einer Welt ohne Grenzen und der unendlichen Möglichkeiten präsentieren. Und so romantisch und aufregen sich dieser Lebensstil auf sozialen Netzwerken darstellen lässt, gerät als anscheinend schnell in Vergessenheit, dass es vor allem ein Beweis unserer Privilegien ist.

Denn für den Großteil der Menschheit ist die Welt wie sie existiert nuneinmal durch unüberwindbare Grenzen begrenzt. Und in den unterschiedlichen Gestalten, in denen sie auftauchen können, machen sie das freie und selbstverständliche Reisen zu einem Privileg.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich möchte ich auch gerne, dass es keine Rolle spielt in welchem Land man geboren und sozialisiert wird. Aber Diskriminierungsverhältnisse und Privilegien einfach zu ignorieren, nur weil man nicht gerne möchte das sie existieren, hat doch auch noch nie dazu beigetragen, sie zu beseitigen.

Aber was mache ich hier dann eigentlich?

Schließlich lebe ich auch gerade in einem Land des globalen Südens. Einfach weil ich gerne mal die Erfahrung machen wollte. Und irgendwie ja auch, weil ich es halt einfach machen kann. Und auch wenn ich Freiwillige bin, habe ich ein deutschen Arbeitsvertrag, der mir sehr viel mehr Urlaubszeit erlaubt, als für alle anderen üblich.

Zwei Wochen lang wahr ich dann auch das erste mal so richtig in Indien auf Reisen. Einige Kilometer weiter südlich im selben Land fühlt es sich an wie in einem ganz anderem. Richtig warm plötzlich.

Ich könnte auch einiges erzählenswertes von dieser Reise berichten. Aber ich hatte einige Begegnungen, Situationen und Gespräche, die mich darüber mehr zum nachdenken gebracht haben. Und auch wenn nichts von dem, was ich hier schreibe neu ist und schon häufig gesagt wurde, gibt es ein Teil meiner Erfahrungen auf dieser Reise wieder. Das Reisen als Weiße in einem Land des globalen Südens hat mir meine gesamte Rolle noch einmal ganz anders vor Augen geführt. Außerdem die Erfahrung, auch von InderInnen wieder gespiegelt zu bekommen, dass dieses ganze Verhältnis als ungerecht wahrgenommen wird, hat mich zu der Entscheidung gebracht diesen Bericht so zu schreiben und all das schon gesagte nochmal zu sagen, um es vielleicht ein bisschen mehr sichtbar zu machen.

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